Nur eine Nacht
Nun ist es
nicht so, dass ich Angst davor hatte, mir war nur ein bisschen mulmig, als ich
das ausgefüllte Formular mit der Aufschrift „Einweisung“ in den Händen hielt.
Wer begibt sich schon gern in ein Krankenhaus? Gern hätte ich auf diese
Erfahrung verzichtet und da hilft
es auch nicht, dass
unser deutsches Gesundheitssystem vielschichtig
gelobt wird. Ich blicke inzwischen zurück auf 63 Lebensjahre und deute damit an,
dass ich, trotz Eintritt in die spätere Lebensphase,
noch nie als Patient in einem Krankenhaus war.
Dann war da dieser dicke Pickel, dessen Aufenthaltsort ich einmal mit „unterhalb
des Steißbeines“ beschreiben will. Diese sanfte Angabe der Örtlichkeit, wo sich
seit Monaten hartnäckig eine Fistel herumtrieb, ist allein dem Umstand
geschuldet, diese Geschichte auch dem sensiblen Gemüt zuzumuten.
So nimmt denn die
Geschichte ihren Lauf,
die ihren eigentlichen
Anfang mit dem Befund des Hausarztes „Das muss
da weg“ findet. Ausgestattet mit den besten Empfehlungen und einer Überweisung
zum Chirurgen wurde
das Ding jetzt sachkundiger analysiert und der
mehrseitige Bericht des Fachmannes stützte am Ende den Befund des Hauarztes.
Mein Wissen über Fisteln, das bis zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich groß war,
wurde nun durch die Erklärungen des freundlichen Chirurgen wesentlich vertieft.
Heute weiß ich, dass sich Fisteln eher unterirdisch verzweigen und dass das, was
von einer solchen
Stelle sichtbar ist, den Vergleich
mit
dem Eisberg nicht scheuen zu braucht.
Eine
nachhaltige Sanierung muss die Extraktion
der bis in die Tiefe gehenden Infektion
sicherstellen,
die für mich richtige Adresse sei das örtliche
Krankenhaus.
Also stellte
ich mich den wohl üblichen
Operationsvorbesprechungen in der
Krankenhaus-Chirurgie und wurde über Risiken und Erfolg eines solchen Eingriffes
vom Leiter der Abteilung aufgeklärt. Am Ende hatte ich einen Terminzettel in der
Hand, der mich darüber informierte, dass ich am 4. Januar nüchtern zur Operation
erwartet würde. Wann genau ich mich einzufinden hatte, sollte ich mit einem
Verweis auf die Telefonnummer auf dem Terminzettel einen Tag vor der
Pickel-Exekution bei der Sekretärin erfragen. Als aufgeklärter Parkinson-Patient
verließ ich natürlich nicht das Haus, ohne die diversen Fachleute auf die
Besonderheiten hinzuweisen, die ich mit meinem Krankheitsbild mitbringe. Ein
weiterer Punkt, dem ich Bedeutung zumaß, war die Terminplaner davon zu
überzeugen, dass ich, wenn ich nüchtern zu erscheinen hätte, nicht erst
nachmittags einen Platz auf dem Operationstisch finden sollte. Meine Einwände
wurden zu Kenntnis genommen und mit den Worten „Sie sind nicht der erste
Parkinson Patient, den wir hier behandeln“ abgelegt.
So gingen die
Tage ins Land, Weihnachten und Sylvester sind abgefeiert und ich setze mit dem
3. Januar,
dem Tag vor der Pickelentfernung, mit dem Anruf
bei der Krankenhaussekretärin wieder auf. Freundlich wünschen wir uns
gegenseitig das Beste für das neue Jahr und die Planung sieht vor, dass ich um
12:30 Uhr „dran“ bin und ich mich infolgedessen um 10:30 Uhr einzufinden hätte.
Niemand wollte sich daran erinnern, dass ich,
aufgrund meiner langjährigen
Parkinson-Karriere, um die Berücksichtigung eines frühen Termins bei den
Vorbesprechungen gebeten hatte. Ich sollte ja nüchtern erscheinen. Die zeitlich
enge Terminlogistik mit dem Zugriff auf die Operationssäle sei
mit einer Vielzahl von Einflussgrößen verzahnt,
sodass eine
kurzzeitige Verschiebung des ausgewiesenen
Termins unmöglich sei.
Begleitet von
Gisela stehe ich pünktlich vor der Tür der mir zugewiesenen Adresse. Ich werde
zur Patientenaufnahme
weitergereicht und von dort mit einem Stapel
Papieren auf die Station 2 geschickt, zum Stationszimmer. Die Wachhabende nimmt
mich auf und Schwester C. bringt uns in ein mit zwei Betten ausgerüstetes
Krankenzimmer mit der Nummer 228. Schwester C. verlässt den Raum mit dem
Hinweis, ich möge das auf dem Bett liegende Nachthemd anziehen, nachdem ich
Ring, Armbanduhr und Kleidung, sogar die Unterhose, abgelegt hätte. Ich wusste
ja, dass ich mich in mein Schicksal zu ergeben hatte. Da ich mit Gisela allein
im Zimmer war, will ich mich hier auch nicht anstellen. Die mir bis dato
geläufigen Hemden, Jacken und Mäntel sind so gefertigt, dass sie von vorn
geschlossen werden. Die Nachthemden im Krankenhaus werden hinten
zusammengebunden. Warum eigentlich? Ich dachte nicht länger über diesen Umstand
nach und kroch unter die Bettdecke.
Für den reibungslosen Betrieb eines
Krankenhauses gibt es viele Dinge zu berücksichtigen. Die Versorgung der
Patienten mit Nahrung morgens, mittags und abends ist sicher ein wichtiger
Faktor zur Gesundung und zum leiblichen Wohlbefinden der hier Eingewiesenen. Um
die beschriebenen Voraussetzungen zu erfüllen, fand sich kurz nach meiner
Inbesitznahme des Bettes
eine Krankenschwester mit einer Art Handy vor
meinem Bett ein, die sich als
Zuständige
für die Versorgung mit
Lebensmitteln vorstellte.
Sie: „wollen sie Brot oder Brötchen zum Frühstück?“
Ich: „Brötchen.“
Sie: „Normale, Vollkorn, Roggen, Mischkorn, Käse,
Kürbiskern oder Kümmel?“
Ich: „Zwei reichen.“
Sie wiederholt: „Normale, Vollkorn, Roggen, Mischkorn,
Käse, Kürbiskern oder Kümmel?“
Ich: „Ein Normales und ein Vollkorn.“
Sie: „Mit Marmelade, Käse, Wurst, Schinken, Butter,
Margarine, Frischkäse oder Streichwurst?“
Ich: „Mit Marmelade und Wurst.“
Sie: „Mit Erdbeere, Kirsch, Pfirsich, Preiselbeere,
Apfel, Birne, Pflaume oder Sauerkirsche?“
Ich: „ Zwei sind
genug.“
Sie wiederholt: „Mit Erdbeere, Kirsch, Pfirsich,
Preiselbeere, Apfel, Birne, Pflaume der
Sauerkirsche?“
Ich: „Mit Erdbeere und Sauerkirsche.“
Sie tippt alles in ihr Handy und stellt die Frage nach
dem gewünschten Käse, jedoch nicht, ohne mich vorher in der bekannten Manier
über die Angebotsvielfalt zu informieren. Dieses Prozedere wiederholt sich nun
auch bezüglich des Mittag- und Abendessens. Ich bin beeindruckt und erinnere
mich daran, dass es jetzt 11 Uhr ist und ich
heute noch nichts von dem, was bis eben besprochen wurde, gesehen habe und ich
Hunger verspüre.
Gisela ging und
ich wartete auf die Fahrt im Bett zum Operationssaal, der ja um 12:30h für mich
reserviert sein sollte. Im kalten, tristen Zimmer, in das hin und wieder
Schritte von über den Flur rennenden Personen drangen, saß ich nun mit meinem
hinten zugebundenen Nachthemd im Bett und wartete….Quälend langsam drehten sich
die Uhrzeiger auf halb eins, die Stunde meiner zugesagten Operation.
Nix passierte, fast nichts, mein Hunger stieg
und mein Groll auch. Als ich um ein Uhr
immer noch nicht
abgeholt wurde, zog ich das hinten zugebundene
Nachthemd über den Kopf und schmiss mich in
meinen Trainingsanzug. Offensichtlich hatte man
mich vergessen. Ich ging zum Zimmer der Wachhabenden und erkundigte mich zu
meinem Fall.
„Die haben
sich von unten noch nicht gemeldet, warten sie einfach“…. OK,
ich warte, gehe im Zimmer auf und ab und
wundere mich darüber, dass ich auf Grund von Nahrungsmangel noch nicht
kollabiert bin. Um 14:00 Uhr habe ich die Nase voll, rufe per
Knopfdruck die Schwester. Verzweifelt rede ich
auf sie ein, erzähle von Hunger, von Parkinson und von all den negativen Folgen
denen man sich zu erwehren hat, wenn hier was aus dem Ruder läuft. Sie
empfiehlt, in Ruhe abzuwarten.
Um halb drei
kommt ein Pfleger, der mich apathisch im Bett vorfindet und mir freudig
mitteilt,
dass es nun losgeht. Widerstandslos lasse ich
mich zum OP fahren. Die Vorbereitungen für die eigentlichen Prozedur, wegen der
ich seit 4 Stunden hungernd im Bett sitze, dauert eine weitere Stunde.
Gegen 18 Uhr wache ich wieder auf und bekomme
tatsächlich ein Abendessen. Die Operation, die 10 Minuten gedauert hat, sei gut
verlaufen und ich würde voraussichtlich am nächsten Tag entlassen. Soweit so
gut, ich zeige mich versöhnt und schlafe schmerzfrei bis zum Morgen durch.
Ich teile das
Zimmer inzwischen mit einem ebenfalls gerade operierten Patienten, erfahre bei
der notwendigen und üblichen morgendlichen Untersuchung näheres zu seinem
Blutdruck, Stuhlgang und seinem Operationsverlauf,
dafür muss er mit ansehen, wie der Arzt bei der
morgendlichen
Visite meine Operationswunde unterhalb des
Steißbeines begutachtet. Nun ja, tröstlich sind die abschließenden Wort des
Medizinmannes: „Sie können heute nach Haus gehen“.
Pünktlich um
8:00 Uhr kommt das Frühstück… für meinen Bettnachbarn. Wo bleibt meins? Um 8:30h
kommt die liebe Schwester von gestern wieder und zeigt auf ihr Handy mit den
Worten: „Hat es nicht abgeschickt, ihr Bestellung ist futsch. Was wollten sie
nochmal?
Ich: „Zwei
Brötchen, eines mit Marmelade eines mit Käse“.
Sie: was für Brötchen
„Normale,
Vollkorn, Roggen, Mischkorn, Käse, Kürbiskern oder Kümmel?“
Ich: zwei reichen
Sie wiederholt: „Normale, Vollkorn, Roggen, Mischkorn,
Käse, Kürbiskern oder Kümmel?“
Ich: ein Normales und ein Vollkorn.
Sie: „Mit Marmelade, Käse, Wurst; Schinken, Butter,
Margarine, Frischkäse oder Streichwurst“?
Ich: „mit Marmelade und Wurst.“
Sie:“ mit Erdbeere, Kirsch, Pfirsich, Preiselbeere,
Apfel, Birne, Pflaume oder
Sauerkirsche“? ..
Ich:“…..
Sie trommelt alles in ihr Handy und teilt mir dann
mit, ich könnte nur ein normales Brötchen bekommen. Aber im Kühlschrank wäre
noch ein Rest von mitgebrachter Marmelade…
Als ich ging
fiel
mir ein Fragebogen mit der Überschrift „Lob und Tadel“
in die Hand.
Ich bin weit davon
entfernt, mich mit dieser Niederschrift als nörgelnder Kritiker des
Krankenhauses auszuweisen. Weiß ich doch, dass es für die Stadt und die Region
ein großer Gewinn auf eine solche Einrichtung zu verweisen, die in der Regel von
der ansässigen Bevölkerung eher gelobt wird. Alles, was ich sagen will ist, dass
auch eben die Provinz ihren ganz individuellen Charme hat. Und das ist gut so .