Unterwegs auf den höchsten Straßen Europas

Mit dem Fahrrad auf den höchsten Straßen Europas unterwegs. Mit eigener Kraft über alle Berge klettern. Die Zeitschrift „Roadbike schrieb  „Es ist die Königsdisziplin für alle Rennradfahrer und ein Traum für alle Radverrückten“.  Alles was ich da las, kann ich nachvollziehen, finde mich wieder in den Berichten, vom Schweiß und Schmerzen und dem Glücksgefühl mit dem Rad am Passschild angekommen zu sein. Vielleicht waren alle berichtenden Gipfelstürmer ein bisschen schneller als ich und vielleicht haben sie weniger Pausen für den Aufstieg gebraucht. Trotzdem, ich reihe mich ein in die Riege der Radfahrer, die auch die steilsten Pässe als befahrbare Herausforderung und nicht als unüberwindbare Hürde sehen.  Ich weiß, was es bedeutet bis zu 40km steil bergauf zu fahren und habe ich Respekt vor jedem,  der diese sportliche Herausforderung annimmt und sich den Berg hochbeißt.. dennoch gibt es einen gravierenden Unterschied zu mir, der mit einem Wort erklärt ist: „Parkinson“.

Mut oder Verzweiflung, Wut oder Ohnmacht, „Warum“, werde ich gelegentlich gefragt? Ich erspare mir die Zeit darüber nachzudenken, suche nach keiner komplizierten Antwort. Vielleicht suche ich die Herausforderung und habe Spaß daran unter diesen Bedingungen meinen Sport zu treiben. Eine andere Antwort habe ich nicht..

 Wie auch in den vorangegangenen Jahren, habe ich mich durch Training im Fitness - Center und durch Fahrten in den heimischen Bergen einige Monate auf das Abenteuer Alpen vorbereitet. Da auch mein Sohn Steffen Interesse bekundete sich einer solchen Herausforderung zu stellen, war die Frage nach einer Begleitung (ich wollte nicht so gern allein fahren) schnell gelöst.  Vervollständigt wurde das Team durch meine Frau Gisela, die mit dem Auto das Gepäck transportieren würde. Alles, was uns einschränkte, war jetzt die Tatsache, dass eine Lehrerin und ein Schüler auf die Ferien angewiesen sind und die Sommerferien viel zu kurz waren um unseren Ausflug in die Alpen unterzubringen. Will sagen, ein gemeinsamer Termin ließ sich erst in den Herbstferien realisieren.

Dieser späte Termin brachte eine neue Unbekannte ins Spiel, was ist mit dem Wetter? Viele Alpenpässe werden im Oktober gesperrt. Wir würden somit vor Ort und von Tag zu Tag entscheiden, wie und was möglich ist. Vorsorglich rüsteten wir unseren Golf mit Winterreifen aus, verstauten zwei Fahrräder und das notwendige  Gepäck für drei Personen im Fahrzeug und brachen an einem grauen Oktobermorgen auf in Richtung Alpen.

Unser Ziel war Bichelbach, eine kleine österreichische Gemeinde, unweit von Füssen, wo wir zunächst übernachteten. Unsere Planung sah vor, von Bichelbach  am frühen morgen des nächsten Tages mit den Rädern über den Fernpass und weiter in Richtung Reschenpass zu fahren.

 

1.Tag; Von Bichelbach nach Pfunds (96 km)

Hinter den Gardinen des Hotelzimmers erwartete uns ein eher grauer Morgen. Wir beschlossen beim Frühstück und - nicht ohne bange Nachfrage bei den dort Heimischen zu Ihre Meinung bezüglich  des Wetters -, in kurzer Radkleidung zu starten. Bei Bedarf könnten wir uns später umziehen.

Nachdem die weitestgehend zerlegen Fahrräder wieder montiert und einsatzfähig waren, brachen wir  kurz nach 10 Uhr auf in Richtung Fernpass. Ich kannte den Fernpass von vergangenen Touren und wusste, dass er uns nicht vor große Schwierigkeiten stellen würde, die Steigungen gehen nicht über 8 % hinaus und dieser  Pass, der auf etwa 1200 m ansteigt, ist gut geeignet sich auf die richtigen Bergpassagen einzustimmen. Der Fernpass gilt als ein Einfallstor in die Alpen, ist vielbefahren und die eigentliche Herausforderung ist aufzupassen, dass man bei der Verkehrsdichte nicht unter die Räder kommt. In weniger als zwei Stunden sind wir in Nassereith, dem Ende des Fernpasses. Wir verständigen uns mit Gisela nach Imst weiterzufahren, um dort gemeinsam eine Pause in einem Restaurant einzulegen.

Die etwa 25 km nach Imst spulen wir problemlos ab. Im gegenseitigen Windschatten fahren wir dicht hintereinander und halten auf der meist eben verlaufenden Strecke eine Geschwindigkeit von 30 und 35 km/h. Mir ist allerdings bewusst, dass ich mich disziplinieren muss und meine Kräfte einzuteilen habe, denn die schweren Etappen kommen ja noch. Mir wird auch klar, dass ein gut trainierter 19 jähriger Fußballspieler einem 55 jährigen Radsportler, der sich redlich um seine Fitness bemüht, deutlich überlegen ist. Ich freu mich über den leichtfüßig dahinradelnden Sohn und hechele so gut ich kann hinterher.

Nach der Mittagspause verlassen wir Imst und fahren auf dem Inntalradweg nach Landeck und erreichen schließlich ohne Schwierigkeiten Pfunds wo Gisela inzwischen vor dem gebuchte Hotel auf uns wartet. Mit etwa 96 km in den Beinen beschließen wir den ersten Tag. Wenn das Wetter hält, werden wir morgen mit dem Reschenpass die ersten ernsthaften Steigungen bewältigen.

 

 2. Tag Von Pfunds nach Tauflers

Alles hängt vom Wetter ab. Wenn es stürmt und schneit, müssen wir abbrechen. Der erste Blick aus dem Fenster des Hotels in Pfunds bestätigt den Wetterbericht. Es bleibt mindestes heute noch angenehm warm und überwiegend trocken.

Gegen 10 Uhr sitzen wir im Sattel und fahren in Richtung Reschenpass. Mit Gisela haben wir verabredet, dass wir uns in Nauders, kurz vor dem Reschensee wieder treffen.

Von Pfunds bis Nauders sind es etwa 14 km, eingeschlossen der ungefähr 1400 Meter hohe Reschenpass. Der Reschenpass gilt als die einfachste Möglichkeit um mit dem Fahrrad über die Alpen und dann weiter nach Süden zu fahren. Die eigentliche Passstrasse ist gut 7 km lang und nur im letzten Abschnitt wirklich steil. Gefährlicher sind die drei Tunnel entlang der Strecke, die wir um Dunkeln (natürlich fehlt an unseren hochmodernen Fahrrädern die Beleuchtungsanlage) durchqueren.

Unter richtig harten Bedingungen, dann, wenn es über 20 – 30 km steil bergauf geht, wird die Formation aufgegeben. Am Berg muss jeder seinen eigenen Rhythmus finden. Der Reschenpass zwingt uns  nicht, in diesen einsamen Trott zu verfallen. Die Steigung geht nicht über 10 % hinaus und wir bleiben zusammen. Ein Blick auf die Übersetzung macht deutlich, dass die Technik noch ein paar Reserven bereithält. Erst auf den letzten 2 km zieht die Steigung noch einmal kräftig an. Da das Ziel Nauders jedoch schon zu sehen ist, wächst mit jedem Meter den wir steigen und dem Ort näher kommen die Zuversicht in die eigenen Kräfte. Nach etwa 40 Minuten ist der Reschenpass geschafft und wir treffen wie geplant und verabredet auf Gisela.

Nach einer kurzen Pause vereinbaren wir nach Glurns weiterzufahren. Auf einem wunderbar ausgebautem Radweg, der vom Reschensee bis zum Gardasee verläuft, rauschen wir förmlich in Richtung unseres neuen Zieles. Bei angenehmen Temperaturen erreichen wir nun bergab Geschwindigkeiten bis an die 50 km/h. so langsam reift in mir der Gedanke, morgen über den Umbrailpass und das Stilfserjoch unsere Reise fortzusetzen.  Das Stilfserjoch ist etwa 2800m hoch, der  Reschenpass mit 1400m nur halb so hoch und Glurns, das jetzige Ziel liegt etwa auf 1000m.

In Glurns gönnen wir uns ein Eis und vertiefen den Plan morgen die höchsten befestigsten Pässe in den Alpen anzufahren. Um dieses Vorhaben zu realisieren muss das Wetter mitspielen und wir sollten heute eine Unterkunft in der Nähe zum Einstieg in den Umbrailpass finden.

Ein Blick in die Karte machte deutlich, dass wir in Tauflers übernachten sollten. Tauflers ist von unserem jetzigen Standort etwa 10 km entfernt und liegt ca.300m höher. Über einen unbefestigten Radweg, der entlang am Waldrand verläuft und teilweise kurze aber heftige Anstiege bereithält, erreichen wir mit den letzten Sonnenstrahlen das genannte Ziel .

Gisela wartete inzwischen vor einem Hotel. Wir beenden  den zweiten Tag und genießen die Vorzüge eines hoteleigenen Schwimmbades

 

3.Tag Über den Umbrailpass und das Stilfserjoch nach Prad

Nachdem die erste Euphorie verraucht ist, kamen mir doch Zweifel zu unserem Vorhaben. Was weiß ich denn schon, aus dem fernen Hannover angereist, über die Wettereigenarten in den Alpen? Hört man nicht immer wieder, dass sich das Wetter speziell in dieser Gegend von einer Minute zur anderen verändern kann? Und wie sieht es denn aus im Oktober auf einer Höhe von 2800 Metern, wenn auch im Tal die Sonne scheint ?

Vor meinem geistigen Auge sah ich uns in Radlerkleidung, irgendwo auf dem Weg zur Passspitze, im eiskalten Schneesturm und es gab keine Möglichkeit für Gisela uns mit dem Auto abzuholen, denn die Straße war  nicht mehr befahrbar. Dieses Szenario ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wusste jetzt was zu tun war. Aufstehen und mit dem Auto die Strecke abfahren und mich Vorort von den Gegebenheiten überzeugen. Es war noch dunkel, als ich kurz vor 6:00 Uhr den Motor startete. Einige dichte Nebelbänke am Umbrailpass waren die einzige Behinderung meiner Auffahrt. Ich erreichte das Stilfserjoch im ersten Morgenlicht und fand die Passstraßen schnee- und eisfrei vor. Es wehte jedoch ein eisiger Wind bei einer Temperatur um den Gefrierpunkt. Ich hatte jetzt einen Eindruck und, wenn die Bedingungen so blieben, sollte der Aufstieg mit dem Fahrrad kein Risiko sein. Pünktlich zum Frühstück war ich zurück im Hotel. Nach kurzem Bericht stand fest: „Wir werden fahren“.

 Gegen 10:30 Uhr verlassen wir Tauflers, nicht ohne uns vorher mit Proviant zu versorgen. Zusätzlich kaufen wir in einer Drogerie Gummihandschuhe, die uns in erster Linie gegen nasse und kalte Finger schützen sollten. Die Bedingungen der letzte Tage ließen es zu, in den Sommertrikote zu fahren, jetzt fahren wir komplett in „lang“. Kurz hinter Tauflers passieren wir die Schweizer Grenze und folgen der B28. Die Auffahrt zum Umbrailpass beginnt wenige Kilometer hinter der Grenze in einem Ort mit dem klingenden Namen „Santa Maria,. Der Pass empfängt uns gleich zu Beginn mit einem heftigen Anstieg. Mit dem Auto, so erinnere ich mich, habe ich etwa eine Stunde bis zum Gipfel gebraucht. Mit dem Fahrrad sollten wir für die uns erwartenden 26 km, in denen etwa 1500 Meter an Höhe zu überbrücken sind, mindestens 4 Stunden einplanen. Im unteren Teil der Strecke reiht sich bereits Kehre an Kehre. Ich fahre solange ich kann in einer  relativ großen Übersetzung. Es beruhigt mich, noch Reserven zu haben und mein Fahrstil lebt ohnehin mehr von der Kraft als von der Drehzahl an den Pedalen.  Profis mögen diese Taktik belächeln. Zug um Zug, Kehre um Kehre winden wir uns die enge Passstraße hinauf. Nicht nachdenken was noch kommen wird, einfach kurbeln, kurbeln, kurbeln. Es geht nicht ohne kurze Pausen, wir gönnen sie uns.

Kurz vor der Baumgrenze steht ein einfaches Restaurant. Als wir diesen Ort erreichen, ist etwa ein Drittel der Strecke ist geschafft. Ich weiß allerdings auch, was noch vor uns liegt, unsicher, ob das ein Vor- oder ein Nachteil ist. Meine Oberschenkel brennen und meine Knie zittern, ich  brauch jetzt eine längere Pause, einen warmen Platz, verschnaufen, ausruhen und nicht mehr treten. Trinken und eine Kleinigkeit essen, das schlichte Wirtshaus bietet was wir brauchen. Nach 30 Minuten mahnt Steffen zum Weiterfahren. Er hat recht, denn noch hält das Wetter. Die Strecke zunächst unvermindert steil. Rechts und links der jetzt unbefestigten Straße nur Geröll und karge Steine, die schützenden Bäume fehlen. Zu allem Überfluss auch noch Gegenwind, der uns alles, was die Natur in dieser Gebirgsgegend abwirft  um die Ohren weht. Für mich gilt, ich fahre am Limit, unsicher, ob ich weiter will, weiß allerdings Steffen kurz vor mir und höre einfach nicht auf zu treten. Habe mich oft genug im Fitnesscenter in diesen Leistungsbereich geführt. Ich vertraue darauf, dass ich mich kenne und nicht überfordere. Gelegentlich werden wir von Autos überholt. Eines davon ist unser Golf, Gisela hält an, endlich absteigen, besinnen, Pause..

 Radfahren in den Alpen steht nicht nur für Lust. Es steht auch ebenso für Leiden und ein bisschen auch für die Lust am Leiden. Dafür immer weiterzutreten – Umdrehung für Umdrehung., auch wenn die Beine schmerzen und die Lunge zu verbrennen scheint. Es steht dafür, den kleinen Mann im Kopf zu ignorieren, der immer wieder nervtötend fragt: „Warum tust du dir das an?“

 Es gibt zusätzlich Sicherheit Gisela mit dem Auto  in der Nähe zu wissen. Kehre um Kehre aber auch Pause um Pause schrauben wir uns steil bergan. Steffen jetzt einige hundert Meter vor mir. Nach einer gefühlten Ewigkeit nimmt die Steigung endlich ab, ich blicke auf und sehe Steffen, der am Gipfelschild auf mich wartet.

Ein kurzer Augenkontakt ein kurzer Händedruck. Momente für die Ewigkeit....

 Von Gisela wissen wir, dass sie in einem Cafe auf dem Stilfserjoch auf uns wartet. Irgendwie stellen sich die verbleibenden drei km und 200 Höhenmeter, trotz einsetzenden Schneetreibens, nicht mehr als Herausforderung dar. Auch wenn ich bei meiner Ankunft am Cafe aufpassen muss nicht zu fallen. Wie sehr der Aufstieg und zum Schluss die Kälte an meinen Kräften gezehrt haben merke ich erst, als ich im warmen Cafe auf einem Stuhl sitze. Ich brauche einen Moment um mich zu sammeln, wieder anzukommen in der Wirklichkeit.  

Der einsetzende Schneefall, Wind und Kälte erinnern uns daran, dass die Bedingungen für die Abfahrt aus 2800 Metern nicht besser werden. Alles, was wir für den Schutz gegen Kälte und Nässe mithaben, ziehen wir an. Besonders die Hände und die Füße sind empfindlich und besonders zu schützen. Richtig dicke Handschuhe sind jedoch auch ungeeignet, in ihnen fehlt das Gefühl für die Bremsen, auf deren Funktionstüchtigkeit wir uns jetzt 36 km, mit teilweise über 15 % Gefälle, verlassen müssen. Wir wollen das Stilfserjoch über die Südseite verlassen und rollen vorsichtig auf nasser Fahrbahn der ersten der  berühmten 46 Kehren entgegen. Zum Glück ist kaum ein Auto auf der Passstraße unterwegs. Meine profillosen Reifen neigen zum Blockieren,  ich muss jede Kurve konzentriert und besonnen durchfahren.

Je tiefer wir kommen, je angenehmer werden die Temperaturen. Kurz vor Prad, lassen wir dann doch laufen. 62 km/h zeigt mein Tacho, unvernünftig , ich weiß, Glück gehabt, gut gegangen. Das erstbeste Hotel am Wegesrand erweist sich auch als das beste am Platz. Wir gönnen es uns am Ende eines nicht ganz gewöhnlichen Tages.

 

4. Tag Von Prad nach Sterzing

Mit strahlendem Sonnenschein und angenehm warmen Temperaturen empfängt uns der neue Tag. Wir beschließen nach Meran zu fahren und dort irgendwo die Fahrräder im Auto zu verstauen und die Heimfahrt an zutreten. Ich kenne den schönen und großzügig ausgebauten Radweg nach Meran vom letzten Jahr, als ich mit Jürgen hier unterwegs war.

Gisela fährt ein paar Proberunden mit meinem Fahrrad und wir tauschen die Rollen. Die 50 km nach Meran fahr ich mit dem Auto und Gisela mit dem Rad. Drei Stunden später treffen ich die beiden Radler gut gelaunt in einem Cafe in Meran wieder.

Das herrliche Wetter lockt, und verführt mich, die Jeans noch einmal mit der Radlerhose zu tauschen und gemeinsam mit Steffen die etwa 30 km bis nach St.Leonhard im Passieretal quasi als Abschluss mit dem Rad  zufahren. Der Radweg entlang des Passieretales ist zwar unbefestigt, lässt sich aber gut und zügig befahren.

Ich hänge meinen Gedanken nach, ein bisschen mit Wehmut ein bisschen mit Stolz rausche ich an der Seite meines Sohnes dem vermeintlich letzten Ziel diese Etappe entgegen. In einem Cafe in St. Leonhard findet auch Gisela zu uns.Es ist kurz vor 16 Uhr, noch einen Kaffee in Ruhe trinken, dann Fahrräder im Auto verstauen und über den Jaufenpass die Heimreise antreten, so meine Gedanken..

Steffen schaut zum Himmel --- ich ahne was in ihn bewegt --- „22 km bis zum Pass, es ist jetzt 4 Uhr, in gut zwei Stunden könnten wir auch mit dem Rad oben sein“ höre ich Ihn sagen. Nein, ich will nicht, mich trifft diese Frage völlig unvorbereitet, will ihn aber auch nicht allein fahren lassen, will, dass er vernünftig wird und mit uns mit dem Auto fährt. Ich glaube auch nicht, dass der Aufstieg in zwei Stunden zu schaffen ist.

"Das Wetter ist doch noch schön, fahrt doch soweit ihr kommt, ich lade euch dann schon  ein." Oh Gott, diese Frauen, einen Pass nimmt man ganz oder gar nicht, fährt es mir durch den Kopf.

St. Leonhard liegt bereits unter uns als die Kirchturmglocken vier mal schlagen. Vor uns liegen noch einmal 22 unendliche Kilometer, ungezählte Kehren, bissige Anstiege, Schweiß, Schmerzen und immer muss der Wille weiterzufahren ein bisschen stärker sein als der Grund abzubrechen.

Die ersten Kilometer fahren wir noch zusammen, jetzt ist Steffen mir immer mindestens eine Kehre voraus. Er wartet auf mich. Ich merke, dass ich zu einer Belastung für ihn werde. Ich lass ihn fahren, er soll nicht mehr auf mich warten. Im Problemfall haben wir ja die Handies und Gisela ist ebenso erreichbar.

Es ist beileibe nicht der erste Pass, den ich befahre, seit vier Jahren komme ich jeden Sommer einmal nach Tirol und  habe so manchen Schweißtropfen in den Bergen und Tälern diese Landstriches verloren. Hab gelernt, dass jeder Berg und jeder Pass seine eigenen individuellen Tücken, Reize, Gefahren und Herausforderungen hat.

 Ich hänge kurbelnd und keuchend meinen Gedanken nach, nehme zur Kenntnis, dass ich gerade an einem kleinen Ort mit dem Namen “Walden“ vorbeiziehe. Weiter vorn erkenn ich unseren Golf. Ich mache am Auto eine Pause und bitte Gisela, weiterzufahren um nach Steffen zu sehen.

Die untergehende Sonne taucht die Berge in ein dunkles kräftiges Gelb. Ich muss weiter, rechne noch mit 9 -10 Kilometern und das Tageslicht nimmt ab.

Strengt es mich im Vergleich zu den letzten Jahren eigentlich mehr an, diese gnadenlosen steilen Straßen hochzufahren? Ein objektiver Vergleich ist mir nicht möglich, aber sicher ist es so, denn ich bin in allen Belangen 4 Jahre älter geworden. Auch wenn Sir James mir offensichtlich in diese Nische meines Lebens nicht richtig folgen kann.

Die mir entgegenkommenden Autos fahren jetzt mit Licht. Ich blicke auf und sehe weit oben das Ziel. Als ich das erste mal vor vier Jahren zum Radfahren in die Alpen kam, war ich auch auf dem Jaufenpass, allerdings fuhren wir ihn über die Nordseite an. Jetzt bin ich wieder hier, schließt ich ein Kreis? Nichts wird mir bewusster, als dass alles einmal anfängt und alles einmal aufhört. Zwei - drei Kilometer vor dem Ziel muss ich aufgeben, abbrechen, bevor mich die Dunkelheit ganz einhüllt. Ich telefoniere mit Gisela, sie soll mich abholen.

Und Steffen? Längst im Ziel, weit mehr als drei Kilometer vor mir. Es wird Zeit, dass ich den Stab weitergebe.

 Wir übernachten in Sterzing und fahren am nächsten Morgen zurück nach Haus.